Literaturnobelpreis 1949: William Faulkner

Literaturnobelpreis 1949: William Faulkner
Literaturnobelpreis 1949: William Faulkner
 
Der amerikanische Schriftsteller wurde für seinen kraftvollen und in künstlerischer Hinsicht einzigartigen Beitrag zum modernen amerikanischen Roman ausgezeichnet.
 
 
William Faulkner, * New Albany (Mississippi) 25. 9. 1897, ✝ Oxford (Mississippi) 6. 7. 1962; 1918 Eintritt in die Royal Air Force of Canada, ab 1919 Studium der englischen und französischen Literatur an der University of Mississippi, die er ohne Abschluss verlässt. Seitdem Broterwerb als Journalist, Erzähler und Drehbuchautor in Hollywood; seit 1957 Gastdozent (»Writer in Residence«) an der University of Virginia.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Faulkner könnte zu jener »Lost Generation« amerikanischer Schriftsteller gerechnet werden, die, nach dem Ersten Weltkrieg von einem zuweilen zynischen Skeptizismus befallen, nicht mehr glauben konnten, dass die bislang von den Dichtern überlieferte Hoffnung auf ein sinnerfülltes Leben vor einer unwiderruflich aus den Fugen geratenen Welt Bestand haben könnte. Allerdings teilte Faulkner nie die Vorliebe Hemingways und anderer Autoren der »Lost Generation« für das Leben außerhalb der Vereinigten Staaten. Nachdem er 1925 Europa bereist hatte, wo er nach eigener Auskunft »nichts gelernt« hatte, verbrachte er den Rest seines Lebens im amerikanischen Süden, dem er entstammte und den er mit seinen Romanen auf der Landkarte der Weltliteratur eintrug.
 
 Die Weißen im Süden als Sujet
 
So handelt ein großer Teil seines Werks vom Schicksal weißer Landbesitzer und ihrer Familien im fiktiven, aber erkennbar im alten amerikanischen Süden angesiedelten Yoknapatawpha County, und offenbar teilte der Autor Lebensstil und Charaktermerkmale mit dem Personal seiner Romane und Erzählungen. Dieses Bild der Einheit von Leben und Literatur verstärkte Faulkner, indem er sich zunächst zierte, die Ehrung anzunehmen, denn schließlich hat ein Gutsbesitzer Dringlicheres zu besorgen, als in ein fernes Land zu reisen, um dort Dankesreden zu halten. Vielleicht hatte ihn aber auch das Zögern des Nobelpreiskomitees geärgert, das sich erst 1950 durchringen konnte, ihm den Preis für 1949 zuzuerkennen. Einigen Mitgliedern schien Faulkners primäres Interesse am Schicksal der weißen Bewohner des amerikanischen Südens auf eine reaktionäre Grundstimmung hinzudeuten, die sich nicht mit der kulturellen Liberalität verträgt, für die der Preis steht.
 
Der Mensch, so fasste Faulkner einmal zusammen, sei »die Summe seines Unglücks«, und so besteht das Personal seiner Erzählungen in weiten Teilen aus schwächlichen, oft primitiven und im schlimmsten (nicht seltenen) Fall perversen Sterblichen, die — sollten sie welche besitzen — an ihren Werten und Idealen scheitern und mit ihren Vorfahren nicht mithalten können. Im Grunde sind nicht Individuen, sondern Familien die Helden der meisten Werke Faulkners. Denn wie in der griechischen Tragödie und wie in manchen Episoden des Alten Testaments ist der Mensch in Faulkners Süden Opfer zeitlich-zeitloser Bindungen, die Vergangenheit wird ihm zum Schicksal, die Sünden der Väter suchen ihn bis ins letzte Glied heim.
 
In seinem ersten Yoknaptawpha-Roman, »Sartoris« (1929), schildert Faulkner, der selbst einer verarmten Gutsbesitzerfamilie entstammt, den Niedergang des aristokratischen Südens seit den Bürgerkriegszeiten am Beispiel der Nachfahren des berühmten Colonels Sartoris. Das ererbte Selbstbild des eleganten, geborenen Gentleman und unbestrittenen Leitbilds der Gesellschaft bricht sich an den veränderten sozialen und kulturellen Bedingungen der nun auch im Süden angekommenen industriellen Moderne. Den anachronistisch wirkenden Nachgeborenen des alten Südens steht der Clan der Snopes gegenüber, ungebildet und ohne Sinn für soziale Verantwortung, aber mit skrupellosem Egoismus und brutaler Vitalität den eigenen Einfluss vermehrend. Die Romantrilogie »Das Dorf« (1940), »Die Stadt« (1957) und »Das Haus« (1959), die den Aufstieg des Snopes-Clans erzählt, nimmt dieses Thema erneut auf.
 
 Aufstieg zum anspruchsvollen Literaten
 
Auch »Schall und Wahn« (1929) handelt vom Niedergang einer einst angesehenen Familie von Gutsbesitzern, den Compsons. Faulkner fasst die Geschichte in eine Reihe innerer Monologe, die die Geschichte nicht entwickeln, sondern — wie Jean-Paul Sartre es formulierte — als »ungefüge, unflätige Gegenwart« hinter den Worten hervortreten lasse. So scheint nichts zu geschehen in diesem Roman, die erzählte Zeit verschwindet in der Zeit des Erzählens. Die formale Kühnheit der Faulkner'schen Erzählweise in »Schall und Wahn« stellt hohe Ansprüche an die Geduld des Lesers, trug Faulkner aber die Anerkennung anspruchsvoller Literaturkenner ein, die ihn bald an die Seite von James Joyce und Virginia Woolf stellten. Mit »Schall und Wahn« verließ Faulkner das Ghetto der Regionalliteratur und trat in die literarische Moderne ein.
 
Im Mittelpunkt seines nächsten Romans, »Als ich im Sterben lag« (1930), ebenfalls als Folge innerer Monologe gestaltet, stehen die Bundrens, keine Familie der Südstaatenelite, sondern arme weiße Bauern, ungebildet, amoralisch und gefühlsarm, die mit dem Sarg der verstorbenen Clan-Mutter eine groteske Odyssee erleiden, in deren Verlauf sich eine Tragikkomödie der Primitivität entwickelt.
 
Yoknapatawpha County ist neben dekadenten Gutsbesitzerfamilien wie den Sartoris und den Compsons, armen weißen Bauern wie den Bundrens und Aufsteigern wie den Snopes vor allem von Schwarzen bewohnt. In vielen Romanen Faulkners bilden sie den dunklen Hintergrund der Handlung. In »Schall und Wahn« nimmt die schwarze Köchin und Dienerin Dilsey die Rolle des guten Geistes ein, sie versucht so gut es geht, tapfer, treu und mit heiterer Gutmütigkeit den Zusammenhalt des Hauses zu sichern. Dilsey und ihr Sohn Luther sind ironischerweise die einzigen positiven Gestalten in diesem Niedergangsdrama des alten Südens. »Licht im August« (1932) macht den Rassenhass des Südens zum Thema. Joe Christmas, Mulatte und Findelkind, gerät, nachdem er mehrmals die Seiten gewechselt hat, ins Visier weißer Rassisten, die vor nichts mehr Angst haben als vor der Vermischung der Rassen, vor dem Verschwinden der Grenzen, auf denen ihre brüchige Ordnung ruht. Diese Angst entlädt sich schließlich in einem perversen Lynchmord. Auch Thomas Sutpen in »Absalom, Absalom!« (1936), als armer Weißer geboren, scheitert bei seinem Unternehmen, den amerikanischen Traum vom sozialen Aufstieg zu verwirklichen, schließlich an dem für die dynastische Aristokratie des Südens verbindlichen Verbot, Rassenschranken zu überschreiten.
 
Faulkners Werke zählen inzwischen zum Bestand der Weltliteratur, fanden zu Lebzeiten des Autors jedoch nur wenige Leser und sicherten ihm ein dürftiges Auskommen. Nur zeitweilige Entspannung brachte der Roman »Die Freistatt« (1931), der dank seines aus Verbrechen und Sex gestrickten Sujets gut angenommen wurde, aber auch seriöse Kritiker beeindrucken konnte. In den 1930er- und 1940er-Jahren arbeitete Faulkner regelmäßig als Drehbuchautor in Hollywood, um seine finanziellen Verhältnisse aufzubessern. Die Auszeichnung mit dem Nobelpreis hob sein Ansehen erheblich, und in der Folge wurde ihm zweimal der renommierte Pulitzer-Preis zuerkannt.
 
Nach seinem Tod 1962 hat die Literaturwissenschaft den Rang von Faulkners Werk entdeckt, man schätzt die mythische Kraft hinter der naturalistischen Oberfläche seiner Erzählungen und bewundert seine stilistische Originalität. Faulkner wird als ein repräsentativer Vertreter der literarischen Moderne des 20. Jahrhunderts in Erinnerung bleiben.
 
J. Zwick

Universal-Lexikon. 2012.

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